Wie ist Eure Erfahrung? Habt Ihr auch oft das Gefühl "zuviel zu sein"?
Nein, eher das Gegenteil. Ich war schon immer ein sehr kontrollierter Mensch. Emotionale Ausbrüche gegenüber Dritten gab es selten, ich nahm mich oft zurück, wenn ich wusste, dass ich gerade zu emotional an eine Sache heranging. Ich konnte stets einen Schritt zurücknehmen, Dinge überdenken und dann Handeln, nach meiner Ratio. Und die Erfahrung zeigte: Damit kamen viele Männer auch nicht klar, noch schlimmer: Viele fanden es unattraktiv.
Zwar beschweren sich Männer gerne über die „komplizierten, zu emotionalen Frauen“, aber letztendlich ist es doch die Idealvorstellung, wie eine Frau zu sein hat und was sie attraktiv macht. Und natürlich auch: Mann hat eine vermeintliche Überlegenheit ihr gegenüber.
Außerdem stimmt dieses ganze „Frauen sind emotional, Männer sind rational“ absolut nicht. Männer sind extrem emotional und agieren bisweilen sehr irrational, nur sind sie besser im Rationalisieren. Wie oft hatte ich schon Diskussionen mit Männern, die von oben herab meinten, sie wären in der überlegenen Position, weil sie „sachlich und ganz rational“ ihren Standpunkt vertreten haben. Bis ich sie darauf hingewiesen habe, dass die ganze Prämisse ihrer Augumentation auf Emotionen aufbaut. Das schlimme war: Es war alles legitim, ich hab ihre Standpunkte verstanden, denn ich finde nicht, dass überall Ratio > Gefühl gilt. Wir brauchen beides und beides hat seinen Wert, viele Männer denken aber, dass dies nicht so ist, was zur Folge hat, dass sehr viel rationalisiert wird (da lügen sich die Männer eben gerne mal in die eigene Tasche).
Ein gibt aber einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen (im Schnitt), wenn es um das Ausleben und Zulassen von Emotionen geht.
Männer zeigen vor allem „starke“ Emotionen wie Wut und Aggression. Das macht einen nicht verletzlich und angreifbar, es sind aber dennoch Emotionen. Männer sind teilweise so impulsiv in ihrem Verhalten... die Ergebnisse davon sitzen im Gefängnis... oder liegen unter der Erde. Ein großes Problem unserer Zeit ist die Selbstmordrate, die in vielen Ländern ansteigt; vor allem sind es Männer, die - vermeintlich - den Freitod wählen. Forscher fanden heraus: Männer gehen ganz anders an die Sache heran. Sehr impulsiv und spontan, aber mit fataleren Auswirkungen. Frauen planen, wie sie sich umbringen wollen und wählen dazu weniger „krasse“ Methoden wie Pillen (diese schlagen auch öfter fehl). Männer hingegen können am Morgen aufstehen, ohne an Selbstmord zu denken, am Abend holen sie den Strick raus und erhängen sich. In Amerika greift man(n) gerne zur Waffe. Auch hier sieht man gut: Es ist ein sehr aggressives Verhalten, aber ein in sich gekehrtes, äußerst destruktives.
Frauen neigen dann doch eher dazu, „schwache“ Emotionen zu zeigen: Angst und Trauer. Das macht frau aber verletzlich und angreifbar und genau deswegen haben viele Männer Angst (irgendwie ironisch), diese Gefühle zuzulassen. Sie lernen also nicht, wie sie damit umzugehen haben, sie reden sie klein, rationalisieren es und sprechen so letztendlich der Frau auch die Legitimation ihrer Gefühle ab.
Manchmal ist es gut, aggressiv zu sein, Wut zu zeigen, das gibt einem Kraft, weiterzugehen, nicht aufzugeben, aber manchmal ist es besser, zu fliehen, sich seiner Verletztlichkeit bewusst zu werden und sich nicht zu schämen, nach Hilfe zu rufen, wenn man im Moment zu schwach ist, dies alleine zu bewältigen. Sowohl Männer als auch Frauen (und alles dazwischen) sollten daher lernen, Zugang zu all ihren Emotionen zu finden, denn diese werden immer einen großen Teil unseres Seins und unserer Handlungen bestimmen.
In diesem Sinne: niemand sollte sich für seine Emotionen (oder Emotionalität) schämen, aber manchmal hilft ein Überdenken trotzdem